Fünf Regenerationswege nach Schlaffhorst und Andersen
Zusammenfassung von Carolin Kalvelage
Anwendung finden die fünf Regenerationswege als regenerative, präventive Körper - und Stimmschulung, besonders aber auch zur Therapie nicht organischer ( sog. funktioneller) oder gebrauchsbedingter (usogener) Stimmstörungen oder dem Wiederaufbau nach Operationen (Schilddrüse, Tumor, Knötchen...). Ein Ziel dieser Arbeit ist das Wiedererlangen des Eutonus, des ausgeglichenen Spannungszustandes aller Muskeln im Körper. Eutonus ist ein integraler Spannungsausgleich zwischen Halten und Bewegen.
Jeder gesunde Muskel - auch Zwerchfell und Stimmmuskel - befindet sich von Natur aus in ökonomisch, andauerndem sinnvollem Spannungszustand, ob er nun in Tätigkeit ist oder auch nicht. Diese Dauerspannung befähigt flexibel zu reagieren.
Jegliche Veränderung im Spannungszustand in nur einem Punkt“ eines Körpers
wirkt sich zwischen allen Muskelgruppen aus. Das heißt Körperspannung und
Atemspannung stehen ebenso wie Atem- und Stimmspannung in wechselseitiger
Beziehung zueinander.
Zunächst einmal sind an der direkten Stimmgebung
beteiligt
- die Atmung als "Motor“ - eine lebensnotwendige Grundfunktion des Menschen mit großer Auswirkung auf Kreislauf, Stimme, Stimmung, Stoffwechsel, Organtätigkeit, Haltung, Aufrichtung und damit auch Bewegungstätigkeit
- der Kehlkopf als "Stimmlieferant“ mit seiner Muskeltätigkeit
- das Ansatzrohr (der Raum oberhalb der Glottis bis hin zum Mund - und Nasenbereich mit seinen Sprechwerkzeugen), in dem das Grundprodukt Stimme durch Artikulation und Resonanzraumbildung zu Klang und Wort gebildet wird.
Dieses Zusammenspiel aller Faktoren ( Atmung, Stimme, Artikulationstätigkeit, Bewegung) bewirkt den Erhalt gesunder natürlicher Organfunktionen. Eine ausgewogene Atem- und Körperspannung richtet den Menschen auf und gibt ihm ein inneres Gleichgewicht.
Nach Schlaffhorst und Andersen gibt es fünf Regenerationswege, um den Erhalt oder Wiederaufbau einer physiologisch richtigen Atmung und damit Stimm - und Bewegungsfähigkeit zu erreichen:
- Kreisen
- Schwingen
- Rhythmus (rhythmische Bewegung)
- Atmen
- Tönen
Kurzbeschreibung der Regenerationswege nach Schlaffhorst - Andersen:
Kreisen
ist ein Balancespiel um die Körperachse durch ständiges Verlagern des
Schwerpunktes über den Fußgelenken in der Verbindung der vier
Bewegungsrichtungen (vor - rückwärts - links - rechts).
Die dynamische
Gewichtsverlagerung zwingt die Muskulatur, die den Körper aufrecht hält dazu,
sich immer wieder neu einzustellen, zu reagieren.
Das sie innervierende
Gamma-Nervensystem wird angeregt.
Atemreize werden durch den Wechsel von
Spannung und Dehnung zahlreicher Muskeln ausgelöst.
Die Bewegungsart des
Kreisens ist auch auf einzelne Gliedmaßen übertragbar.
Schwingen
(im Stand mit dem ganzen Körper oder auch nur mit einzelnen
Körperteilen)
Beim Schwingen werden so die Bewegungsphasen intensiver
ausgeführt, die Gleichgewichtsreflexe der Atmung angeregt, die haltende
Muskulatur zu ständiger Bereitschaft gebracht und das Gamma - Nervensystem
vermehrt gefordert.
Das Schwingen nach Schlaffhorst und Andersen findet
innerhalb und/oder außerhalb des Gleichgewichts des Schwingenden statt (bezogen
auf den Stand).
Außerhalb des eigenen Körpergleichgewichtsbereiches benötigt
die schwingende Person den Anleitenden als Gegenüber, Stütze zum gegenseitigen
Ausbalancieren.
Der/die Anleitende hat die Möglichkeit durch Fassung, Zug,
Druck, Bewegungsausmaß und Tempo tonisierend und kräftigend auf Atem- und
Haltemuskulatur zu wirken, Fehlspannungen zu korrigieren und das
kinästhetische Empfinden der zu schwingenden Person zu stärken.
Sie
kann so eine Sensibilität für Spannungsänderungen entwickeln und einen
Bewegungsfluß ohne Stockungen erreichen - nicht nur in der Schwingeübung,
sondern auch in Alltagsbewegungen.
Dies führt zum nächsten
Regenerationsweg:
Rhythmus / rhythmische Bewegung
Für die rhythmische Bewegung ist die Koordination von Atmung und
Bewegungsablauf entscheidend = atemrhythmische Bewegung. Diese Koordination
geschieht im dreiphasigen Rhythmus.
Eine solcherart rhythmisierte Bewegung
führt zu gelöster und damit wieder zu neuer muskulärer Anspannung. Die
Bewegungen wirken belebend auf den gesamten Organismus, besonders auf die
Atmung. Die Muskulatur wird vermehrt mit Sauerstoff versorgt. Die Atemspannung
unterstützt die Aufrichtung.
Um dieses Ziel, den Spannungsausgleich /
Haltungsaufbau und damit auch den Wiederaufbau ausgeglichener Atem- und
Stimmfunktion zu erreichen, muss grundsätzlich jeder Regenerationsweg immer im
Zusammenhang mit der Atmung genutzt werden. Genauer gesagt im dreiphasigen
Rhythmus: Ausatmung, Pause, Einatmung.
Muskeltätigkeit |
Atemmuskulatur |
Atmung / Lunge |
---|---|---|
Aktives Zusammen- |
Spannungsaufbau |
Einatmung / Ausdehnung = passive Streckung |
passive Dehnung der Antagonisten durch Lockerheit |
passive Dehnung = Abspannung durch nach der Dehnung folgende Lockerheit |
Ausatmung = Zusammenziehung Ruhe = Ausgangslage für die neue Einatmung |
Atmen
Die Atmung ist lebenstragende Grundfunktion des Menschen.
Wichtigster und
größter Atemmuskel ist das Zwerchfell (Diaphragma). Er weist den Weg auf die
Wahrnehmung der Atemphasen als Grundlage für die Atemarbeit. Ein gut
innerviertes Zwerchfell gibt die Luft so dosiert ab, dass die
Stimmmuskulatur die Atemluft vollständig zu Klang verarbeiten kann.
Eine
physiologisch richtig innervierte Stimme gibt durch die Hemmung der
ausströmenden Luft Impulse an das Zwerchfell .
Ein Weg zur Belebung und
Aktivierung des Zwerchfells ist also die Stimme.
Die Arbeit nach Schlaffhorst
und Andersen nutzt hierbei die Lautfunktionen.
(Lautarbeit -
Phonationsübungen mit Halb- und Vollklingern - Singen - Sprechen)
Weitere
Möglichkeiten zur Vertiefung der Atmung sind atemfördernde Bewegungen,
Dehnungen, Lagerungen sowie Ausatemübungen / Kofflersche Übungen und zusätzliche
Vorstellungshilfen über Bilder.
Eine vertiefte Atmung bewirkt eine bessere
Sauerstoffversorgung von Gehirn und Muskeln, eine Massage der Leiborgane durch
die stärkere Zwerchfellbewegung, was wiederum die Magen-Darmtätigkeit, Herz- und
Kreislauf verbessert.
Tönen
Wird der Weg über den Stimmeinsatz und die Artikulationsmöglichkeiten von unterschiedlichen Lauten/Lautgruppen genannt. Lautfunktionen werden erfahrbar gemacht. Sie werden in Form der Stimmschwingungen der Ausatemluft entgegengesetzt. Erfahrbar werden dabei Luftführungsmöglichkeiten und Resonanzraumweite, auch Widerstände durch Artikulationsengebildung wie z.B. beim ssss.
Das Zwerchfell wird also am schnellen Steigen/Abspannen gehindert -
differenziertere und intensivere Feinarbeit der gesamten Atemmuskulatur wird
angeregt. Die verlängerte Phonationsdauer bringt den Körper in ein
Sauerstoffverlangen, dass durch eine nachfolgende vertiefte Einatmung (Tiefgriff
des Zwerchfell) wieder ausgeglichen wird.
Die intensivierte
Atemtätigkeit eutonisiert Hyper- und Hypotonie in der
Skelettmuskulatur, da eine Wechselwirkung zwischen Atmung, Haltung und
Aufrichtung besteht. Die Nutzung aller Atemräume“ wird damit erweitert.
Mit der isolierten Beschreibung dieser fünf Regenerationswege wird ihre
Verzahnung, das aufeinander Aufbauende und miteinander Wirkende der
einzelnen Elemente deutlich. Es werden immer mindesten drei der
Regenerationswege genutzt.
Diese führen zu leichterer Aufrichtung,
Tonisierung (stärkerer Durchblutung), physiologischer Atmung und damit
physiologisch richtiger Stimmgebung aus der Erfahrung der unwillkürlichen
Einatmung und ihrer Ausnutzung zur Lautkraft, der elastischen Führung der
Ausatmung und dem Beachten und Lassen der Lockerheitsphase/Pause.
Und nicht zuletzt kann auf diesen Wegen Freude aufkommen über das Wahrnehmen von neuen Erlebnisweisen.