“Schau mal! Dem Alltag mehr Aufmerksamkeit schenken” (Teil 3)

Taktile Information

Die Hände erhalten taktile Informationen durch tasten, formen, drücken und streichen, wobei die Kinder die Form einer Kugel entstehen lassen. Die feinen Fertigkeiten der Finger, die sich geschickt auf die ablaufenden Bewegungen einstellen erfordern die visuelle Koordination. Sie ergibt eine Kontrolle der Bewegung, die die Kinder im Handeln spüren und sie weitergehen läßt ins nächste, daß sich selbstverständlich ergibt.

Durch den Tastsinn ist ein räumliches Muster zu erfassen. Es betrifft die Aufnahmefähigkeit der Haut für Außenreize. Mit Hilfe eines Analogieschlusses betrachten wir für die Sprachtherapie die „orale Stereognose“. Das ist die Fähigkeit im Mundraum Objekte zu erkennen und zu unterscheiden, allein durch Betasten. Hahn (1997, S.185) beschreibt: „Wie mit der Hand können wir im Mund ein Objekt umschließen und damit eine räumliche oder dreidimensionale Wahrnehmung und Erkenntnis des Objekts erhalten.“ Fehlt diese ist die orale Wahrnehmung in ihrer Erkennungsfunktion begrenzt.

Gustatorische und olfaktorische Information

Obst und Gemüse haben wir in diesem Zusammenhang als Material bereit gestellt, welches auf die Nahrungsaufnahme zielt. Die Nahrungsaufnahme ist ein vitales Bedürfnis, welches die Aktivität des Mundes unmittelbar stimuliert. Nahrungsaufnahme sollte ein lustvoller selbstbestimmter Vorgang sein, animiert über das Tätigsein (hier: schneiden, schälen, teilen, zerdrücken) mit unterschiedlichen Nahrungskonsistenzen. Das ruft das Interesse an ihr hervor, welches gustatorische und olfaktorische Empfindungen weckt.

Über die Nahrungsaufnahme und ihre Zerkleinerung beim Kauen entwickeln die Kinder ein Erleben für vertikale, horizontale und diagonale Mittellinien im Mund und haben ein besseres Gefühl für den Mundmittelpunkt. „Das Bewußtsein für den Mund hilft dem Kind, dort den Mittelpunkt zu finden, nämlich den Ruheplatz für die Zunge.“ (vgl. Morris und Klein 1995, S. 20). Dabei lernt es, die Zungenspitze aktiv anzuheben. Die Zunge erfährt so allmählich einen unabhängigen sensorischen Kontakt mit dem Gaumen.

Visuelle und auditive Information

Die Gemeinschaft mit anderen betrifft die Mitteilung und damit das Hinhören. Hinhören weist auf den Augenblick - Hinschauen weist auf die Aufmerksamkeit. Das Auge sichtet. Hier ist die Konzentration angesprochen, die eine Richtung markiert.
Kommunikation drückt die innere Haltung aus. Sichtbar in der äußeren Handlung. Wie tut das Kind was? Unstimmigkeiten führen beim Kind zu Fehlinformationen, es kann nicht eindeutig einordnen, es versteht nicht. Woher kommen häufig beobachtete Phänomene?

Ein Kind kann spüren und nicht handeln. Wie sieht das spüren aus?

Ein Kind kann nicht spüren, dennoch handeln. Wie sehen die Handlungen aus? Das sind die Phänomene von hyperton und hypoton. Das Kind kommt nicht zu einem bewußten Erkennen. Es nimmt sich selbst nicht wahr und findet keine Sprache für das was es tut und spürt.

Die Lebendigkeit des Spürens, sich bewegen, die Struktur des Handelns und das sich mitteilen wollen, kennzeichnen den Prozeß, in dem das Kind seine Bewegungen und seine Sprache entwickelt.

Aufgabenstellung

Die an die Kinder gestellten Aufgaben geben ihnen eine Richtung. Damit ist das Handeln der Kinder sachlich bezogen, nicht wahllos oder beliebig, so daß sich jedes Kind in seinem Engagement der Sache nach individuell ausdrücken konnte.

Mit der Aufgabe erhalten die Kinder gleichzeitig eine Grenze für ihr Tun. Die Begrenzung ermöglicht ihnen Erfahrung und Erkenntnisse. Innerhalb der ihnen gestellten Aufgabe erhalten sie Möglichkeiten zu experimentieren und Lösungen zu finden. In der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug erleben sie, daß sie was bewirken können. Sie richten die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand. Wie willst du bewegt werden, was will ich mit dir tun? Sie lernen zu planen und Gefahren abzuschätzen.

Jedes Material provoziert eine bestimmte Art des Sichbewegens, des Tätigwerdens. Jedes Material stellt eine andere Aufgabe und jede Handlung führt zur Erfahrung. Sich auf diese Erlebensweisen einlassen dürfen, wäre im Idealfall Lernen im Alltag mit kooperativer Begleitung der Erwachsenen, da jede Interaktion auf gegenseitige Impulse und angemessene verbalisierte Informationen angewiesen ist.

Die Kinder erarbeiten sich in diesem Lernprozeß allmählich Erkenntnisse, die über das Aufgabenziel im engeren Sinne weit hinausgehen. Sie erleben Aufmerksamkeit als sinnvolle Verhaltensweise.

Schluss

Um mit den vier Sätzen der Abschlussszene zu schließen, die durchaus in der Sprache des Films als Bild zu verstehen sind, dennoch verdeutlichen, wie die Informationen der physiologischen Aufnahme von Sinneseindrücken und ihrer Verarbeitung den Menschen orientieren können.
Jedes Kind hat eine eigene innere und äußere Bewegung - Geschickte Füße geben dem Kind Stabilität und Balance - Erfahrene Hände geben ihm Mut, sich mit der Umwelt handelnd auseinanderzusetzen - Mit der Sprache teilt es uns seine Gedanken mit.

Literatur:

Hahn, V.: Untersuchung zur oralstereognostischen Leistung bei orofazialen Dyskinesien. In: Sprache-Stimme-Gehör 21, 185-191. Thieme Verlag, Stuttgart 1997
Morris, S. E., Klein M.D.: Mund-und Eßtherapie bei Kindern. Fischer Verlag, 1995
Siebel, W. A.: Gemeinschaft und Menschenrecht, Einführung in die  anthropologische Soziologie, 1995
Zinke-Wolter, P.: Spüren - Bewegen - Lernen. Borgmann Verlag, 1991